Enhancement

Enhancement bezeichnet die Verbesserung menschlicher Eigenschaften mit künstlichen Mitteln. Das Wort ist ein englisches Lehnwort von to enhance (= verbessern) und hat sich auch im deutschen Sprachraum als gängige Bezeichnung eingebürgert. Grundsätzlich werden drei Arten von Enhancement unterschieden: (1) Unter Neuro-Enhancement versteht man die Steigerung von Eigenschaften mit gewissen chemischen Mitteln. (2) Biotechnisches Enhancement meint gewisse technische Implantate oder Transplantate, die den menschlichen Körper leistungsfähiger machen können. (3) Genetisches Enhancement schließlich ist die gezielte Manipulation des menschlichen Erbguts, um gewünschte Eigenschaften hervorzurufen oder unerwünschte zu unterdrücken. Enhancement unterscheidet sich damit von klassischen medizinischen Maßnahmen der Therapie oder auch der Prävention, da keine Krankheit im eigentlichen Sinne vorliegt.

Enhancement liegt damit an der Schnittstelle und im Interesse unterschiedlicher ethischer Themenfelder, wobei zunächst Medizin- und Bioethik die ursprünglichen Bereiche sind, unter denen Enhancement diskutiert wird. Als Güter und Normen werden auf individueller Ebene Freiheit, Authentizität, Persönlichkeit und Natürlichkeit debattiert. Auf gesellschaftlicher Ebene stellen sich unter anderem Fragen der (Verteilungs-)Gerechtigkeit und Autonomie.

    Basisinformationen

    Bekannt ist unter dem Begriff Enhancement vor allem die Einnahme von leistungssteigernden Mitteln in herausfordernden Situationen. Dabei wird Enhancement, in diesem Fall Neuro-Enhancement (s.o. 1), einerseits von Doping abgegrenzt, da dies illegal ist, andererseits von "normalen" Mitteln zur Erhöhung der Konzentration o.ä. wie beispielsweise Coffein, da es sich bei den eingenommenen Präparaten um Mittel handelt, die ursprünglich als Medikamente konzipiert waren. Das bekannteste und in den letzten Jahren immer wieder in den Medien auftauchende ist Ritalin, ein Methylphenidat-Präparat. Ursprünglich konzipiert zur Behandlung von ADHS, wird es mittlerweile auch häufig im außermedizinischen Bereich genutzt, da es die Konzentration und Auffassungsgabe der Einnehmenden erhöhen soll. Dieser Ruf macht Ritalin gerade in Schulen und Universitäten zu einem beliebten Mittel in Prüfungsphasen.
    Im Zusammenhang mit dieser, aber auch mit anderen Formen von Enhancement, stellen sich mehrere Fragen ethischer Natur, die sowohl die Ebene des Individuums als auch die gesellschaftliche Ebene betreffen. Zunächst ist die Frage aufgeworfen, ob Leistungen, die unter der Zuhilfenahme von künstlichen Hilfsmitteln erreicht werden, auch echte, eigene Leistungen sind oder ob diese Leistungen gar nicht der konkreten Person zuzurechnen sind. Gerade im Vergleich mit anderen Personen, stellt sich dann auch die Frage, ob es legitim ist, eventuell bessere Leistungen in Anspruch zu nehmen, kurz: Kann man eine Person ohne und eine mit Einsatz von Ritalin vergleichen?
    Auf der Ebene des Einzelnen taucht das Problem auf, ob es "richtig" ist, dass der Mensch seine naturgegebenen Grundlagen durch künstliche Hilfsmittel verbessert. Während konservative Positionen auf der Bedeutung der naturalen Gegebenheiten beharren, argumentieren liberale Positionen, dass gerade die Kreativität eigene Grenzen zu überschreiten, zutiefst menschlich ist.
    Sehr kontrovers werden die Fragen diskutiert, die die gesellschaftliche Ebene aufwirft. Neben der bereits oben angesprochenen Frage der dann vermeintlich fehlenden Vergleichbarkeit, stellen sich vor allem Fragen der Gerechtigkeit. Zum einen wird diskutiert, ob es allgemein gerecht ist, wenn Menschen, die Enhancement in Anspruch nehmen, die gleichen Herausforderungen meistern sollen wie diejenigen, die freiwillig darauf verzichten. Womöglich entsteht nämlich so der Druck, dass Menschen solche Verbesserungsmöglichkeiten nur nutzen, um gewisse Berufe ausüben zu können. Zum anderen wird in Anschlag gebracht, dass Enhancement-Maßnahmen natürlich auch Geld kosten. Es könnte dann sein, dass diese Maßnahmen nur für Personen zur Verfügung stehen, die es sich leisten können. Kritiker befürchten, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich so noch weiter spreizt, da in bessere Berufe dann eben nur Menschen kommen können, die Enhancement in Anspruch nehmen.
    Insgesamt verläuft also die Frontstellung in dieser Frage zwischen konservativen Positionen, die einerseits gesellschaftliche Folgen und individuelle Einschränkungen befürchten und liberalen, die die Entscheidungsgewalt in den Händen des Individuums sehen.
    Eine protestantische Position zu diesen Frage muss genau mit diesem Spannungsfeld umgehen. Es verbieten sich jedenfalls einfache Rückgriffe auf die Schöpfung als Norm. Aber auch die Negierung jeglicher innerweltlicher Gegebenheiten ist keine protestantische Position. Eine Bewertung von Enhancement wird daher sowohl die individuelle Freiheit als auch positive und negative Folgen in Anschlag bringen müssen.

    a. Medizinische Informationen

    Wie bereits in der Einleitung angedeutet, wird der Begriff Enhancement vor allem im Zusammenhang mit drei Arten medizinisch-technischen Fortschritts diskutiert, die sich in gewissen Bereichen auch überlappen können.

    1.  Die bekannteste Art des Enhancement ist der Einsatz von Medikamenten, die ursprünglich zur Behandlung von Krankheiten eingesetzt wurden. Von ihrer Einnahme verspricht man sich z.B. erhöhte Konzentration oder gesteigerte Glücksgefühle. Erhöhung von Konzentration und Leistungsfähigkeit erwartet man vor allem von den Medikamenten Ritalin, einem Methylphenidat-Präparat und Donepezil, einem Alzheimer-Medikament. Modafinil, ein Medikament gegen Narkolepsie, soll die Wachheit erhöhen können. Beta-Blocker wie Propranolol sind dafür bekannt, dass sie, wenn sie bei traumatischen Ereignissen verabreicht werden, schlechte Erinnerungen später hemmen können. Bekannt ist schließlich auch Prozac, ein Fluoxetin-Präparat, das als Glückspille bekannt ist. Eigentlich für die Behandlung gegen Depressionen entwickelt, dient es dazu Gefühle abzumildern und wird dazu auch von Nicht-Depressiven eingesetzt. Allen diesen Mitteln ist gemein, dass die außerklinische Wirkung nicht zweifelsfrei nachgewiesen ist. Außerdem gibt es bei allen Mitteln gewisse Nebenwirkungen; die bekanntesten wahrscheinlich wiederum bei Prozac, welches im Verdacht steht, Impotenz auszulösen und Gewalt und Selbsttötung zu befördern.
    2. Weiterhin wird unter Enhancement auch die biotechnische Veränderung oder Erweiterung des menschlichen Körpers gesehen. In einer weiten Definition wären dann auch Schönheitsoperationen eine Form des Enhancement. Dennoch werden im Allgemeinen unter Enhancement eher Maßnahmen verstanden, die konkret die Leistungsfähigkeit des Körpers erhöhen. Für die Behandlung von Krankheiten wie Parkinson wird bspw. bereits jetzt ein Implantat eingesetzt, das als Activa-Therapie bekannt ist. Das sind Elektroden, die ins Hirn implantiert werden und fehlerhafte Funktionen des Gehirns unterdrücken können. Auch bei depressiven Menschen gibt es ähnliche Implantate. Davon ausgehend, wird darüber nachgedacht, wie man auch gesunden Menschen durch Implantate und Hirnchirurgie zu größerer Leistung verhelfen kann. Auch wenn diese Forschung noch in einem experimentellen Status steckt, wird zum Beispiel über sogenannte Gedächtnischips nachgedacht, die bei Verletzten die Gedächtnisleistung wiederherstellen, aber auch bei Gesunden zur Steigerung der Leistung eingesetzt werden können.
      Von Eingriffen am Gehirn, die noch sehr hypothetisch sind abgesehen, können durch gezielten Austausch von menschlichen Gliedmaßen Leistungen gesteigert werden. Dies wird deutlich, wenn man beispielweise den Weitspringer Markus Rehm anschaut. Er hat eine Beinprothese am rechten Bein unterhalb des Knies, da er seinen Unterschenkel aufgrund eines Unfalls verloren hat. 2014 gewann er die Deutsche Meisterschaft im Weitsprung in der Klasse der Sportler ohne Behinderung. Seitdem wird angenommen, dass seine Prothese einen gewissen Vorteil verschafft, zumal sein Tempo beim Absprung nicht so hoch war, wie das des Zweitplatzierten.
    3. Die dritte Form des Enhancement ist das sogenannte genetische Enhancement. Hier wird, in der Durchführung freilich auch noch hypothetisch, diskutiert, Erbinformationen des Menschen so zu verändern, dass positive Eigenschaften hervortreten und/oder negative unterdrückt werden. Mehrere medizinische Entdeckungen der letzten Jahrzehnte rücken diese Vorstellungen weiter in den Bereich des Machbaren. Zum einen ist hier die Entschlüsselung des menschlichen Genoms zu nennen und das Zugänglichmachen dieser Informationen. Was beinahe genauso wichtig ist, ist das Etablieren des Verfahrens CRISPR/CAS9, welches das gezielte Einbringen neuer genetischen Informationen in das Erbgut ermöglicht. Zusammengenommen sollte es so möglich sein, erwünschte Eigenschaften zu aktivieren oder zu verstärken – solange diese jedenfalls genetisch bedingt sind.

          

    b. Rechtliche Positionen

    Die oben genannten Maßnahmen stehen freilich unter gewissen juristischen Vorbehalten. Zunächst ist offensichtlich, dass das ärztliche Standesrecht vielen dieser Maßnahmen ablehnend gegenübersteht, da keine Krankheit vorliegt. Die Medikamente, die bei Formen des chemischen Neuro-Enhancements eingesetzt werden, unterliegen wiederum der Einschränkung durch das Arzneimittelgesetz und das Betäubungsmittelgesetz und sind so von einem Gebrauch außerhalb der Krankheitsbehandlung ausgeschlossen.

    Eine wichtige Frage, die sich im Anschluss an die genannten Fragen allerdings stellt, ist, inwieweit der Einsatz von Enhancement trotzdem unter einem medizinischen Paradigma geschehen kann. Kurz: Wo liegen die Grenzen zwischen legitimer Krankheitsbehandlung und illegitimer Steigerung menschlicher Eigenschaften? Legt man die Gesundheitsdefinition der WHO zugrunde, dann kann auch der Mangel an gewissen Fähigkeiten als "Nicht-Gesund" wahrgenommen werden. Die als so eindeutig wahrgenommenen Grenzen verschwimmen in diesem Zusammenhang.
     

    c. Ethische Debatte

    Die ethische Debatte, die sich mit der Frage von Enhancement befasst, unterscheidet, zu recht, kaum zwischen bereits möglichen Formen des Enhancement und utopischeren Vorstellungen. Es wird grundsätzlich debattiert, ob und inwieweit es dem Menschen zustehen soll, seine natürlichen Gegebenheiten zu überschreiten und welche die individuellen und gesellschaftlichen Folgen wären. Dazu sollen hier zunächst vier Positionen gegenüber Enhancement grob unterschieden und im Anschluss daran verschiedene Güter und Werte debattiert werden.
    Die vier Positionen können in folgende Lager eingeteilt werden:

    1. Transhumanisten halten den Einsatz von Enhancement nicht nur für ethisch möglich, sondern sogar für geboten. Dies liegt daran, dass sie die menschliche Natur für ein zu überwindendes Moment halten: Das menschliche Wesen liegt darin, die naturgegebenen Grenzen zu überschreiten. Auch wenn diese Position zugegebenermaßen nicht sehr viele Vertreter hat, und in ihrem Rigorismus kaum Anspruch auf ethische Allgemeingültigkeit erheben kann, spricht intuitiv für diese Position wenigstens die Erkenntnis, dass der Mensch als "Mängelwesen" (Gehlen) immer schon auf Überwindung seiner natürlichen Beschränkungen angewiesen war und ist.
    2. Der extreme Technik-Skeptizismus wiederum argumentiert, dass die angestrebten Ziele mit den möglichen Mitteln auch in Zukunft nicht zu erreichen sind, oder mit solchen Gefahren behaftet sind, dass eine Risikoabwägung nicht in Frage kommt. Daher plädiert diese Position dafür, die Debatte um Enhancement als ethischen Futurismus zu kennzeichnen und nicht ernsthaft zu führen.
    3. Ein gemäßigt skeptisches Lager ist demgegenüber durchaus davon überzeugt, dass Enhancement möglich ist, und auch ohne bereits von vornherein disqualifizierendes Risiko durchzuführen ist. Dieses Lager hält also die ethische Debatte durchaus für notwendig, plädiert aber unter Rückgriff auf individuelle und gesellschaftliche Werte und Normen dafür, kritisch mit Enhancement umzugehen.
    4. Ein liberales Lager schließlich argumentiert ausgehend von der individuellen Freiheit dafür, dass Enhancement im Prinzip dem Einzelnen überlassen bleibt. In Anschlage gebracht werden hier, neben der individuellen Freiheit, auch gesellschaftliche Folgen, die im Hinblick auf eine Liberalisierung der Enhancement-Praxis trotzdem beachtet werden müssen.

     

    Die Debatte, die über Enhancement im ethischen Sinne geführt wird, spielt sich dementsprechend v.a. zwischen (3) und (4) ab, da diese sowohl über die Möglichkeiten, als auch über die Gefahren gewahr sind.


    Welche Werte und Normen werden nun hinsichtlich der Frage, ob Enhancement ethisch zu akzeptieren sei, diskutiert?
    Auf gesellschaftlicher Ebene sind dies Fragen der Verteilungsgerechtigkeit, des expliziten und impliziten Zwangs und der Folgenabschätzung.
    Da auch Enhancement-Maßnahmen im Prinzip knappe Güter darstellen, wirft das die Frage auf, wer sie in Anspruch nehmen kann. Zunächst sind Enhancement-Maßnahmen keine, die unter die Kriterien fallen, die Krankenkassen zu Bezahlung anlegen, das heißt, die jeweiligen Interessenten müssten die Maßnahmen selbst bezahlen. Das heißt wiederum, dass Enhancement-Maßnahmen zunächst denjenigen offenstehen, die sie sich leisten können. Dies muss spätestens dann ethisch reflektiert werden, wenn gewisse Fähigkeiten, die durch Enhancement erreichbar sind, zur Voraussetzung bestimmter Berufe oder Positionen werden, denn dann spreizt sich die Schere zwischen Privilegierten und Anderen noch weiter. Wenn der skizzierte Fall Realität wird, ist eventuell zu überlegen, ob es in gewisser Weise ein Recht geben müsste, Enhancement in Anspruch zu nehmen. Zu überlegen ist, ob es gewisse Grundfähigkeiten geben kann, auf die ein Mensch Anspruch hat: Wenn er diese auf natürlichem Wege nicht erreicht, dann ist er berechtigt, bei Enhancement-Maßnahmen unterstützt zu werden. Insgesamt scheint dieser Fall recht spekulativ zu sein, weist aber auf ein anderes Problem hin: Kann verhindert werden, dass Enhancement zum Zwang wird, sei es, weil der Arbeitgeber es fordert, sei es, weil es gesellschaftlicher Konsens ist, und diejenigen, die sich verweigern, ausgeschlossen werden. Dies scheint wirklich ein Problem zu sein, mit dem sich liberale Konzeptionen auseinandersetzen müssen und dem nur mit einer kritischen Sensibilität und einem ständigen Diskurs begegnet werden kann.
    Beide genannten Punkte fallen unter das Thema der Folgenabschätzung, worunter dann auch noch zu rechnen ist, wie mit eventuellen Nebenwirkungen aus Enhancement-Maßnahmen umzugehen ist. Trägt hierfür die Allgemeinheit die Verantwortung oder ist der individuelle Nutzen auch mit individueller Verantwortung zu korrelieren?  


    Auf individueller Ebene stellen sich mehrere Fragen, die diskutiert werden müssen: Zunächst ist zu diskutieren, ob es sich bei dem Einsatz von Enhancement um eine unlautere Abkürzung handelt. Ist eine Leistung oder auch Glück nur dann echt, wenn es ohne den Einsatz von künstlichen Mitteln oder mit möglichst wenig fremder Unterstützung erreicht wurde? Hierbei steht die Vorstellung im Hintergrund, dass es für den Einzelnen besser ist, sich etwas als eigene Leistung zuzuschreiben. Eng hängt diese Vorstellung mit dem Konzept der Authentizität zusammen. Ein anderer Einwand wäre der, dass der Einsatz von Enhancement künstlich wäre und damit gegen eine irgendwie geartete Natürlichkeit verstoße. Dieses Argument gilt freilich nur dann, wenn Natürlichkeit als etwas Bedeutendes angesehen wird. Das Natürliche wird in diesem Zusammenhang oftmals als diejenige Instanz aufgefasst, die dem menschlichen Eingriff entgegensetzt werden muss. Ein anderes Argument ist, dass die Nebenwirkungen, aber auch Enhancement selbst, bewirken, dass die Persönlichkeit des Individuums eingeschränkt wird und zwar in dem Sinne, dass nicht mehr entschieden werden kann, was ursprünglich zum Einzelnen gehört und was nur künstliche Beigabe ist.  
     

    d. Evangelische Perspektiven

    Eine evangelische Position muss diese kritischen Argumente würdigen, darf aber auch nicht aufgrund angenommener Eindeutigkeit Enhancement-Maßnahmen für per se unmoralisch erklären. Zunächst ist deshalb festzuhalten, dass die natürlichen Grundlagen des Menschen nicht einfach als Schöpfung gekennzeichnet werden dürfen, die als Gottes Geschenk und Mandat heilig ist. Wenn mit dem Schöpfungsbegriff zu operieren ist, dann unter doppelter Perspektive: Einerseits ist die menschliche Natur als Ganzes als Schöpfung zu bezeichnen, zu der eben auch das Streben nach Überwindung der reinen Natur dient. Andererseits ist diese Schöpfung in ihrer Gesamtheit dem Menschen anvertraut, er ist dazu berufen, damit verantwortlich umzugehen. Dass diese Verantwortung oft verfehlt wird, der Mensch aber trotzdem handeln muss und darf, ist die Botschaft der Rechtfertigungslehre. Vor dieser Folie verbietet sich, Enhancement als per se falsch aus protestantischer Perspektive zu kennzeichnen. Von einer protestantischen Position ist vielmehr zu konstatieren, dass der Einzelne verantwortlich mit seinen ihm anvertrauten naturalen Grundlagen umgehen muss; eine Selbstverbesserung kann dabei durchaus intendiert sein. Sensibel muss protestantische Ethik, hierbei kann sie sich das Doppelgebot der Liebe vor Augen führen, mit implizitem oder explizitem Druck auf Einzelne sein, Enhancement in Anspruch zu nehmen. Hier ist dann auch darauf hinzuweisen, dass Selbstverbesserung nicht zum Abgott werden und man nicht in eine Gesetzlichkeit fallen darf.
     

    e. Konsequenzen

    Abschließend kann festgehalten werden, dass das Thema Enhancement in vorliegender Form Konsequenzen für andere Bereiche der ethischen Urteilsbildung hat. Thematisch stellt die medizinische Ethik einen wichtigen Bereich da. Hier kann vor allem nochmal gefragt werden, inwieweit die übliche und intuitive Definition von Krankheit/Gesundheit sich ändert, wenn man in Anschlag bringt, dass Menschen unter Defiziten leiden, die durch Enhancement zu beheben sind. Eine weitere interessante Pointe ist dann hier auch darin zu sehen, wo die Grenzen zwischen unzulässigem Medikamentenmissbrauch und zulässigen Steigerungen der Leistung gezogen werden muss; gerade bei Substanzen, die ohne Zweifel legal sind (Koffein).
    Als ethischer Grundbegriff ist Freiheit zu diskutieren, hier vor allem die Frage, wieweit menschliche individuelle Freiheit geht und wo sie ihre Grenzen hat. Mindestens zwei Begrenzungen sind hier denkbar: Einerseits kann Freiheit seine Grenze haben, wenn gesellschaftliche negative Folgen zu befürchten sind, und andererseits dort, wo Bedingungen der Freiheit selbst unter Gefahr geraten. Im Hinblick auf Enhancement wird der letztere Punkt vor allem unter der Frage diskutiert, ob die menschliche Gattung eine Würde besitzt, die in der menschlichen Natur grundgelegt ist und Freiheit erst konstituiert und damit eben nicht in der Verfügung des Einzelnen liegt.

    a. Möglichkeiten der Operationalisierung

    Das Thema Enhancement kann in Schule und Predigt unter mehreren Aspekten eine Rolle spielen. In der Schule können Fragen in diesem Zusammenhang alters- und klassenübergreifend begleitend Thema sein: Unter dem Leistungsdruck, den Schüler und Schülerinnen oft spüren, kann der Einsatz von Ritalin eine ganz lebensnahe Möglichkeit zur Leistungssteigerung sein.
    Im Zuge des Unterrichts kann Enhancement unter den Fragen von Schöpfung, Gerechtigkeit und Freiheit debattiert werden. Hierbei ist darauf zu achten, dass keine einfache, klare Positionierung möglich ist, sondern in der Lebenswelt der SuS wahrscheinlich durchaus auch positive Vorstellungen von Enhancement anzutreffen sind.  
    Im gymnasialen Lehrplan für Bayern kann das Thema Enhancement bei unterschiedlichen Lernbereichen ins Spiel gebracht werden:

    • In der siebten Klasse ist der Lernbereich 4 mit "Wünsche und Visionen" überschrieben. Hier könnte Enhancement kritisch und/oder konstruktiv diskutiert werden und auch negative Folgen aufgezeigt werden, da auch der gesellschaftliche Erwartungsdruck eine Rolle spielt. Allerdings ist darauf zu achten, dass die Hintergründe, die für Enhancement zu diskutieren sind, in der 7. Jahrgangsstufe wahrscheinlich zu komplex ist.
    • In der 11. Jahrgangsstufe gibt es zwei Lernbereiche, bei denen das Thema Enhancement gewinnbringend diskutiert werden kann. Bei Lernbereich 3, der mit "Der imperfekte Mensch" überschrieben ist, spielen Themen eine Rolle, die der Enhancement-Debatte genuin zu eigen sind. Gerade die Dialektik zwischen Fragilität/Verbesserungswürdigkeit der menschlichen Natur und den persönlichen Vorstellungen von Perfektheit ist freilich etwas, auf das die Möglichkeit der Selbstverbesserung eine Antwort bietet. Interessant scheint es auch, Enhancement unter dem Lernbereich 4 (Homo faber – Arbeit und Leistung) zu diskutieren, womöglich eignet sich Enhancement auch zur Verbindung der Lernbereiche.

     

    In der Predigt kann das Thema dann aufgegriffen werden, wenn es um Konzepte des Selbst und der Selbstoptimierung geht. Hier ist die Gefahr noch größer, dass Enhancement als Negativfolie gekennzeichnet wird, und gegen solche Irrwege dann die Kraft des Evangeliums in Anschlag gebracht wird. Interessanter erscheinen da vielleicht Predigtideen, die Enhancement durchaus dialektisch betrachten: Einerseits natürlich auf Gefahren hinweisen, andererseits als Möglichkeit kennzeichnen, die dem Menschen kraft seiner Schöpfung gegeben sind.


    b. Material: Filme, Bücher, PC-Spiele

    Gerade dieses Thema lässt sich anhand vieler Bücher, Filme oder PC-Spiele diskutieren. Ein bekannter Roman, der hinsichtlich dieser Fragen immer noch sehr aufschlussreich ist, ist Huxleys "Brave New World", der eine Dystopie einer Welt zeichnet, in der Menschen von Anfang an mit gewissen genetischen Merkmalen gezüchtet werden und beschreibt und darlegt, wie diese dann von Anfang an in gewisse Klassen eingeteilt sind.
    Mit Blick auf die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen erscheinen einige Filme und Fernsehserien interessant: Hier sei als Beispiel auf sogenannte Superheldenfilme hingewiesen. Ein Film, der ganz explizit auf Enhancement eingeht, sind die Filme des Marvel Cinematic Universe, vor allem die Filme der Avengers-Reihe. Mit Iron Man, Hulk und Captain America sind drei der Hauptcharaktere durch technisches oder genetisches Enhancement aufgewertet. Was die Vorteile sind oder was, gerade deutlich in der Figur des Hulk, auch für Schwierigkeiten damit einhergeht, ist daran gut zu sehen und zu diskutieren.


    c. Fragen/Thesen zur Diskussion

    Im Folgenden sollen einige Diskussionsfragen/-thesen geboten werden, die eventuell bei der Beschäftigung mit dem vorliegenden Thema helfen können:

    1. Stellt Enhancement mangelnden Respekt gegenüber der Natur dar? Darf die menschliche Natur geändert werden? Oder: Die menschliche Natur ist dem Menschen vorgegeben und darf (als Schöpfung) nicht geändert werden.
    2. Kann es gerecht sein, wenn Einzelne ihre Leistungsfähigkeit durch Medikamente verbessern? Oder: Es ist gerecht, wenn weniger leistungsfähige Menschen sich selbst verbessern.
    3. Ist Enhancement eine Art Größenwahn/Hochmut des Menschen? Macht der Mensch sich selbst kaputt durch das Streben nach immer größeren und besseren Leistungen? – Oder nutzt der Mensch nicht einfach nur seine Möglichkeiten, zu denen er fähig ist?

     

    Ergänzungen der GPM (redaktionell hinzugefügt)

    (1) Explizite Thematisierung:

    Ev 11.4 »Gesund und Heil? Das Leben angesichts der Unvollkommenheit«
    Menschliche Sehnsüchte, gesellschaftliche Ideale und ihre Brüchigkeit wahrnehmen und die damit verbundenen Vorstellungen vom perfekten Leben hinterfragen. Dazu: Streben nach dem perfekten Körper: Phänomene und ihre Motive […] Umgang mit Gesundheit und Krankheit; irdisches Leben als fragmentarisches Leben in Begrenzung durch Körperlichkeit, Endlichkeit, Eingebundenheit in die Zeit usw.; Leben mit persönlichen Einschränkungen

    ER 11.3 »Der imperfekte Mensch«
    Die Schülerinnen und Schüler identifizieren und bewerten persönliche und gesellschaftliche Vorstellungen von Perfektion und vollkommenem Leben. Sie nehmen die Gebrochenheit und Fragmentarität menschlichen Lebens wahr und beschreiben die Bedeutung von Scheitern und Schuld für die persönliche Identität und Lebensgeschichte, […] deuten die Fragmentarität und das problematische Verhalten des Menschen im Horizont der christlichen Rede von Sünde, Vergebung und Rechtfertigung. 
    Dazu Inhalte: persönliche und gesellschaftliche Vorstellungen von perfektem Leben, z.B. im Bereich von Gesundheit, Aussehen, beruflicher Leistung; deren ambivalente Auswirkungen; Fragmentarität menschlichen Lebens, z.B. aufgrund eigener Begrenztheit oder gesellschaftlicher Bedingungen; […] biblische und reformatorische Rede von Sünde, Vergebung und Rechtfertigung im Sinne von Gen 1–11, Röm 3,21ff. und Röm 7; ggf. weitere biblische Bezüge wie Ps 130, Lk 15

    (2) Weitere Anknüpfungsmöglichkeiten:

    Ev 12.3 »Was darf ich hoffen? Die Frage nach der Zukunft«
    Die Sehnsucht des Menschen nach Unbegrenztheit reflektieren und mit der christlichen Auferstehungshoffnung in Beziehung setzen. Dazu: Begrenztheit der persönlichen Möglichkeiten durch äußere Bedingungen, durch die Notwendigkeit der Entscheidung bei der Wahl von Lebenswegen, durch Scheitern
    Säkulare und biblische Zukunftsentwürfe vergleichen und anhand biblischer Beispiele die Auswirkungen von Zukunftsbildern auf die Lebensführung begründen. Dazu: apokalyptische Vorstellungen an einem Beispiel (z.B. aus den Naturwissenschaften, im Science-Fiction-Film)


    ER 9.1 »Frei im Netz!?«
    Die SuS reflektieren Auswirkungen des Internets auf das eigene Selbstverständnis und den Umgang mit sich selbst und entwickeln aus einem evangelischen Verständnis von Freiheit Perspektiven für die Internetnutzung. Sie erörtern Beispiele für einen problematischen Umgang mit Menschen im Internet und leiten aus einem christlichen Verständnis von Menschenwürde Konsequenzen für eigene Internetaktivitäten ab.
    Inhalte dazu: Auswirkungen, z.B. erweiterte Kontaktmöglichkeiten, Möglichkeiten der Selbstdarstellung und Anonymität, schwierige Grenzziehung zwischen Öffentlichem und Privatem, Gefahr des Rückzugs; evangelisches Verständnis von Freiheit (im Sinne der Freiheit eines Christenmenschen): seine Identität nicht hervorbringen müssen, Freiheit von Zuschreibungen anderer und Freiheit zu Individualität und aktiver Gestaltung; Konsequenzen aus dem christlichen Verständnis von Menschenwürde, Geschöpf und Ebenbildlichkeit, z.B. respektvoller Umgang mit Daten und Bildern anderer, Vermeiden von problematischen Kontakten, Eintreten gegen Verleumdung, Bloßstellung

    ER 11.4 »Homo Faber«
    Die Schülerinnen und Schüler beziehen die biblische und reformatorische Sicht des Menschen als eines Sünders und Gerechtfertigten auf eigene Fragen nach Leistungsbereitschaft, Leistungsfähigkeit und Leistungszwang. Sie entwickeln aus der biblisch-christlichen Vorstellung vom Menschen an einem Beispiel Perspektiven für die Fragen nach Arbeit, Leistung und Gerechtigkeit. 
    Inhalte dazu: der Rechtfertigungsgedanke in seiner Relevanz für Fragen nach Leistung, z.B. Entlastung vom Zwang sich über Aktivität und Leistung zu definieren

    ER 12.3 »Schon und noch nicht – christliche Hoffnungsbilder«
    Die Schülerinnen und Schüler reflektieren die Begrenztheit des Lebens, unterscheiden Formen des Umgangs mit Endlichkeit und setzen sich mit verschiedenen Vorstellungen einer Überwindung des Todes auseinander. 
    Inhalte dazu: Visionen von der Zukunft der Welt, z.B. aus Wissenschaft, Politik, Film, Literatur; Begrenztheit und Endlichkeit des Lebens: Erfahrungen von Tod, Trauer, Abschied und der Umgang damit.

    Biedermann, F.: Argumente für und wider das Cognitive Enhancement. Eine kritische Kurzübersicht, in: Ethik Med 22 (2010), 317–329.
    Gesang, B.: Perfektionierung des Menschen (Grundthemen Philosophie), Berlin/Boston 2007.
    Quante, M., Stoppenbrink, K.: Enhancement und kosmetische Chirugie, in: Stoecker, R. u.a. (Hg.): Handbuch angewandte Ethik, Stuttgart 2011, 475–478.
    Quante, M., Stoppenbrink, K.: Roboter, Cyborgs und die Aussicht auf eine posthumane Zukunft, in: R. Stoecker u.a. (Hg.): Handbuch angewandte Ethik, Stuttgart 2011, 478–481.
    Schöne-Seifert, B., Stroop, B.: Enhancement, in: Sturma, D. und Heinrichs, B. (Hg.): Handbuch Bioethik, Stuttgart/Weimar 2015, 249–254.
    Stoecker, R. u.a. (Hg.): Handbuch angewandte Ethik, Stuttgart 2011.
    Sturma, D. und Heinrichs, B. (Hg.): Handbuch Bioethik, Stuttgart/Weimar 2015.

    Veröffentlicht am 08.02.2017 (Version 1.0).

    Zitierweise:
    Schleicher, N.: Art. "Enhancement" (Version 1.0 vom 08.02.2017), in: Ethik-Lexikon, verfügbar unter: https://www.ethik-lexikon.de/lexikon/enhancement.